Das Protokoll einer missratenen Spionageaktion

11. Mai 2017

Thomas Knellwolf und Mario Stäuble, Tages Anzeiger

In der Affäre um den verhafteten Schweizer Agenten stellen sich die Akteure Falle um Falle. Und tappen dann selbst hinein.

Schauplätze der Operation Eiswürfel

Tel Aviv

Tal H. ist sich gefährliche Aufträge gewohnt, er arbeitete früher in der israelischen Armee als Bombenentschärfer. Heute führt der 45-Jährige in Tel Aviv eine Sicherheitsfirma, berät Grossbanken, Millionäre, Regierungen. «Wir helfen unseren Kunden, aus Problemen Chancen zu machen», verspricht er auf LinkedIn.

Im Sommer 2014 hat Tal H. Schwierigkeiten, seinem Slogan gerecht zu werden. Daniel M., ein Bekannter aus der Schweiz, hat ihn vor ein fast unlösbares Problem gestellt. Er sucht jemanden, der Bankdaten des pensionierten deutschen Geheimdienstchefs August Hanning beschaffen kann. Einen solchen Auftrag hatte H. noch nie. Was nun?

Einer von den Guten

Der Bundeskriminalpolizei in Bern wird der Israeli später sagen, er habe nicht nachgefragt, weshalb sein Freund diese Daten brauche. Er habe darauf vertraut, dass der frühere Zürcher Polizist einer von den Guten sei - schliesslich «war er bei der UBS angestellt».

Der Israeli gibt den Auftrag an «Sergei» weiter, seinen IT-Spezialisten. So wird er es zumindest später der Schweizer Polizei erzählen. Der Hacker klinkt sich ins Darknet ein, in den Teil des Internets, in dem sich Aktivisten und Dissidenten, aber auch Verbrecher unerkannt bewegen können. In einem russischen Chatroom stösst Sergei auf einen Kontakt, der behauptet, Bankdaten liefern zu können.

Und dann geht es fast unheimlich einfach: Preisverhandlung, Kontaktaufnahme via SMS, Treffen an einem nicht näher beschriebenen Ort, Unbekannte übergeben einen USB-Stick. Darauf ein Dossier: «August Hanning - Confidential Report». Treffer. Zurück im Büro druckt er die Dokumente aus, scannt und mailt sie nach Zürich. Daniel M. kann kaum glauben, dass es geklappt hat. Ein Abnehmer wird ihm für die Daten 42'000 Euro zahlen.

Es dauert ein halbes Jahr, bis M. bemerkt, dass er in eine teuflische Falle geraten ist. Sein Irrtum trägt ihm 36 Tage U-Haft in der Schweiz ein, dann fliegt er als Agent des Schweizer Nachrichtendiensts (NDB) auf - und nun, im Frühling 2017, wird er auch noch in Deutschland verhaftet. Die Festnahme macht aus dem Fall M. einen Fall Schweiz, der das Verhältnis der beiden Nachbarstaaten trübt, so dass Aussenminister Didier Burkhalter sich am Telefon gegenüber seinem deutschen Amtskollegen Sigmar Gabriel rechtfertigen muss.

Dem TA liegen grosse Teile der Justizakte von M. vor. Sie erlaubt einen tiefen Einblick in die Affäre. Wer die Protokolle liest, kommt zum Schluss: Gewinner gibt es keine, und Schweizer Behörden müssen sich Naivität vorwerfen lassen. Dazu kommt, dass der Skandal zu verhindern gewesen wäre. Der Schweizer Staatsschutz sorgte mit seinem Verhalten selbst dafür, dass er explodierte.

Frankfurt, Hotel Intercontinental

Am 20. September 2014 steigt Daniel M. vor dem Hotel Intercontinental in Frankfurt aus einer Mietlimousine. Als Chauffeur hat er den Ehemann seiner Fusspflegerin verpflichtet. M.s Auftritt: «sehr charmant, die Aura eines Erfolgsmannes, mittelgross, schwarzer Anzug, weisses Hemd (teuer)». So lauten die Notizen des Mannes, den M. an diesem Tag trifft: Wilhelm Dietl, deutscher Journalist, der in den 80er-Jahren unter dem Decknamen Dali als Agent des deutschen Bundesnachrichtendiensts (BND). Dietl hat gehört, dass M. Spezialist fürs Beschaffen von Bankdaten sei. Selbst interessiert er sich brennend für mögliche Schweizer Konten von August Hanning. Dietl glaubt, der pensionierte BND-Chef sei in unsaubere Geschäfte verwickelt. Sein mögliches Motiv: Rache. Hanning hatte ihn 2005 als Agent enttarnt, was seiner Karriere schadete.

In der Club-Lounge im obersten Stock des Hotels smalltalkt Dietl mit M. über dessen Töchter und Zürcher Wohnungsmieten. Nebenbei outet sich der Schweizer ganz offen als Agent des Schweizer NDB («Das ist ein lahmer Tiger, eine Ministrantengruppe. (...) Eben darum muss ich jetzt für den Staat hinausgehen»). Dann gehts zum Geschäftlichen: Dietl will neben dem Hanning-Dossier auch Informationen über deutsche Kunden der russischen Gazprombank.

M. wird später der Polizei erzählen, der Journalist habe ihm eine Geschichte um eine «Gruppe von Bern» aufgetischt. Hinter dem Codenamen würden sich einflussreiche Deutsche verbergen, die Steuersündern das Handwerk legen wollten. M. steigt auf Dietls Anfrage ein. «Wenn keine Schweizer Kunden und keine Schweizer Banken betroffen sind, ist das nicht so schlimm», habe er sich überlegt. Und verspricht, die Informationen zur Gazprombank zu liefern.

80 Dollar will er pro Kunde, macht bei 7000 Konten 560'000 Dollar. Was M. nicht weiss: Dietl zeichnet das mehrstündige Gespräch komplett auf. Selbst das Mietauto wird fotografiert. Es gibt auch keine «Gruppe von Bern». Das Geld für die Daten kommt von einer deutschen Geheimdienst-Legende: Werner Mauss. Der 77-Jährige, der auch als Claus Möllner, Dieter Koch oder Richard Nelson auftritt, ist seit den 60er-Jahren als privater Nachrichtendienstler unterwegs, verhandelte schon mit kolumbianischen Guerilleros oder befreite Geiseln der Hizbollah. Auf seiner Website rühmt er sich selbst als «Pionier gegen das Verbrechen».

Daniel M. ist nicht irgendwer

Kaum im Spiel, ergreift Mauss die Initiative. Er meldet sich bei der UBS, der er als Kunde schon lange verbunden ist. Im September 2014 trifft er sich am Flughafen Frankfurt mit Bank-Vertretern, darunter Spitzenjurist Oliver Bartholet. Der Verdacht: Ein kriminelles Netzwerk kommt über das internationale Zahlungssystem Swift an Bankdaten heran. Der Name Daniel M. fällt. Mauss’ Warnung macht die UBS-Juristen nervös, ein Swift-Missbrauch ist «unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen», wie Bartholet der Polizei später sagt.

Und Daniel M. ist nicht irgendwer. Er hatte nach dem KV beim TCS 16 Jahre bei der Stadtpolizei Zürich gearbeitet, zuerst im Streifenwagen, später bei der Drogenfahndung und der Fachgruppe für organisierte Kriminalität. Danach war er zehn Jahre lang für die physische Sicherheit der UBS-Spitze verantwortlich, er kannte die obersten Manager, ihre Gewohnheiten, ihre Macken.

Mauss und die UBS entscheiden, die Sache weiter zu beobachten. Oliver Bartholet schaltet die Bundesanwaltschaft ein. Carlo Bulletti, Leiter Staatsschutz, hört aufmerksam zu.

Im Herbst 2014 trifft sich Dietl weiter mit M., der die Daten aus Israel weitergibt - und nicht ahnt, dass ihn die UBS und die Justiz im Auge haben. Und dass unter dem Codenamen «Operation Eiswürfel» bei der Bundesanwaltschaft bald aufwendige Ermittlungen anlaufen. Was M. sagt, wird protokolliert. Selbst beim Geldzählen wird er gefilmt. Via Mauss gelangt das Dossier zur Bank, die auch Bulletti auf dem Laufenden hält.

UBS-Spezialisten merken schnell, dass die beschafften Bankdaten nichts taugen. M. hätte das auch realisiert, wenn er nur einmal gegoogelt hätte. Eine angebliche IBAN-Kontonummer von Ex-BND-Chef Hanning lautet auf den Namen einer Zürcher Firma, die wasserdichte Reissverschlüsse herstellt. Bei den Gazprom-Kundendaten ist es noch offensichtlicher. Auf der Excel-Liste aus Israel sind IBAN-Kontonummern aus Russland eingetragen, die mit «RU» beginnen. Nur: Russland verwendet das IBAN-System gar nicht. Auch das Kürzel «RU» existiert nicht. M., der aussagen wird, er habe auf «schnell verdientes Geld» gehofft, liefert Datenmüll.

Zürich, Hotel Savoy

Am 2. Februar 2015 wollen sich M. und Dietl ein letztes Mal treffen, diesmal im Zürcher Fünfsternhotel Savoy am Paradeplatz. Es ist die nächste Falle: Staatsanwalt Bulletti setzt einen verdeckten Ermittler ein. M. wartet im Savoy. Er erhält einen Anruf. Dietl habe auf dem Weg von St. Moritz einen Autounfall gehabt, nun komme ein Sekretär namens Ladner zum Treffen. Ihm händigt M. die Dokumente aus. Gemeinsam gehen sie zu Ladners Land Rover, um den noch offenen Kaufbetrag zu übergeben, 280'000 Franken. M. nimmt auf dem Beifahrersitz Platz. Ladner gibt vor, im Kofferraum das Geld zu holen. Dann reissen Polizisten die Beifahrertür auf.

Es ist zehn Minuten vor Mitternacht am 2. Mai 2015, als Carlo Bulletti zum ersten Mal versucht, M. in die Zange zu nehmen. Der Leiter der Staatsschutzabteilung eröffnet M., dass er unter dringendem Tatverdacht des wirtschaftlichen Nachrichtendiensts stehe. «Ich bin jetzt etwas durcheinander», sagt M. Aber dann gesteht er schnell, dass er die Hanning- und die Gazprom-Bank-Daten von H. erhalten und an Dietl verkauft hat. Als Ex-UBSler weiss er bestens, dass es verboten ist, schweizerische Bankdaten zu verkaufen. Deshalb betont er: «Meine Abmachung mit Dietl war, dass ich keine Schweizer Bankkunden liefere.» Auf Details lässt sich M. nicht ein. Noch nicht.

Bern, Einvernahmezentrum

Nach vier Nächten in Haft lässt M. am 6. Februar 2015 die ganz grosse Bombe platzen. Sein Anwalt Valentin Landmann legt im Einvernahmezentrum des Bundes in Bern die Lunte, indem er fragt: «In welcher Beziehung sind Sie gegebenenfalls den deutschen Behörden in Sachen Bankdaten in die Quere gekommen?» M. antwortet: «Ich war bis vor einem Jahr als externe Quelle engagiert für den Schweizer Nachrichtendienst und es war ein Mitarbeitsverhältnis, keine Anstellung.» Aktiv gewesen sei er bis vor einem Jahr, aber die Zusammenarbeit sei noch nicht beendet.

Dann macht M. etwas, was er heute bereuen muss: Er gibt Details bekannt. Er vertraut darauf, dass die Fakten, die er preisgibt, geheim bleiben. Das sollte eigentlich kein Problem sein: Immerhin redet er in Gegenwart von Staatsschutzspezialisten der Bundeskriminalpolizei, das Verfahren leitet die Staatsschutzabteilung der Bundesanwaltschaft - also die engsten strafrechtlichen Partner des NDB, für den er unterwegs war. Bevor M. loslegt, sagt er noch: «Ich betrachte Sie als Amtsgeheimnisträger (...). Sie können mit diesen Daten umgehen.» Heute muss er sich getäuscht fühlen.

Seine Befrager wissen Bescheid

M. erzählt von «der ganzen Problematik mit den CD-ROM, welche von der Schweiz an deutsche Steuerfahnder geliefert wurden». Lange ausholen muss er nicht. Seine Befrager wissen da bestens Bescheid. Ihre Abteilung ermittelt deswegen - auch gegen drei deutsche Finanzbeamte aus Nordrhein-Westfalen.

Genau darauf bezieht sich der Auftrag vom NDB, den M. nun offenlegt: Er sollte herausfinden, wie die deutsche Steuerfahndung «an Schweizer Bankmitarbeiter herangeht, um diese zu korrumpieren, zu bestechen, zu bezahlen und zur Mitarbeit zu bewegen». Von seinem Agentenführer habe er eine unvollständige Liste mit verdächtigen Beamten bekommen, «ähnlich einem Sudoku»: «Da gab es eine Zeile mit Name und Wohnort, dann gab es eine Zeile Wohnort und Vorname und es gab Zeilen nur mit Autonummern und Wohnort.»

Stolz erzählt M., er habe das Sudoku gelöst, was zu Haftbefehlen gegen die drei deutschen Beamten geführt habe. Die Bundesanwaltschaft konnte das Trio auch deswegen Anfang 2012 zur Verhaftung ausschreiben. In der Schweiz gab es dafür viel Applaus, gerade von den Beschützern des Bankgeheimnisses. In der Bundesrepublik war die Empörung gross. Auch in der betroffenen Steuerfahndung habe es «einen Aufschrei des Entsetzens gegeben», sagt M. jetzt aus. Dort habe man es sich zum Ziel gesetzt, die Personen, die an der Sudoku-Liste beteiligt gewesen seien, «herauszufinden und unschädlich zu machen».

Der NDB war überaus zufrieden - und wollte mehr. Was genau und wie genau, ist unklar. M. behauptet noch in derselben Einvernahme das, was zwei Jahre später zu seiner erneuten Verhaftung und zu schweizerisch-deutschen Verwerfungen führen wird: Es sei ihm mit einem Partner aus Frankfurt gelungen, eine Quelle in der Steuerfahndung Nordrhein-Westfalen «einzupflanzen». Der Maulwurf im Amt habe zwar noch keine schlüssigen Informationen geliefert. Aber auf seinem beschlagnahmten PC finde sich dazu ein erster Bericht über die Operation, den er noch redigieren müsse und dem Nachrichtendienst aushändigen wolle.

Wie alles begonnen hat

Danach erzählt M. von deutschen Steuerfahndern, die mit Legenden und falschen Pässen, Führerausweisen, Nummernschildern «quasi als verdeckte Ermittler» eingereist seien. Sie hätten sich vor Banken mit «technischen Geräten positioniert» und Kunden «fotografiert, porträtiert und als dann nach Deutschland zurückverfolgt». Bis heute werden in der Bundesrepublik solche Operationen bestritten - das wäre Spionage in einem befreundeten Staat. Belegt ist aber, dass Steuerfahnder aus Nordrhein-Westfalen auf deutschem Territorium, oft in Grenznähe, mit Anbietern von Schweizer Bankdaten um Lieferungen und Zahlungen feilschten.

Doch dafür interessieren sich die Bundeskriminalpolizisten weniger. Viel mehr haken sie bei NDB-Missionen nach: «Können Sie diese Aussagen irgendwie belegen, in dem Sie Namen nennen, Aufträge belegen, damit wir das verifizieren können?» Darauf gibt M. Vor- und Nachnamen mehrerer seiner Kontakte preis, teilweise sind es Pseudonyme. Darunter ist aber auch NDB-Vize Paul Zinniker, «welcher mich persönlich kennen lernen wollte». Die Rede ist von einem Treffen am Flughafen Zürich.

M. sagt seinen Befragern auch, wie alles begonnen hat. Zwei Schweizer Geheimdienstler, darunter ein «Andi», seien an ihn herangetreten, «im Wissen um meinen beruflichen Werdegang, um mein Netzwerk und selbstverständlich auch meine Loyalität und Verschwiegenheit». Einen Ausweis habe er «nie verlangt oder gesehen», das sei unüblich, «man spürt den Stallgeruch unter Seinesgleichen ziemlich schnell.»

Von Andi habe er ein Handy bekommen, das kleine silbrige mit der Prepaidkarte von Coop, das bei der Hausdurchsuchung sichergestellt worden sei. «Es hat nur eine Nummer darauf gespeichert.» Jene von Andi. Mit ihm habe er über SMS Treffen organisiert. Ebenfalls beschlagnahmt wurde ein Dienst-Laptop, auf dem er seine Berichte geschrieben habe. Aufträge seien mündlich erteilt worden. Für fünf oder sechs Monate habe er pauschal je 3000 Franken bekommen, bar, gegen Quittung.

Mit Andi und dessen Chef habe er sich mehrmals getroffen, einmal auch konspirativ in einem Einfamilienhaus. Später wird noch von einem Lunch mit dem Chef in einem «Safe House» die Rede sein, einer möblierten Villa im Norden Zürichs. Dort habe man sich um Geld gestritten, da der NDB ihm für die Aktion in Nordrhein-Westfalen nur 60'000 der vereinbarten 90'000 Franken bezahlt habe.

Mit dem Rücken zur Wand

Doch etwas scheint M. wichtig: Er mache diese Aussagen zu seinen offiziellen Undercover-Aufträgen «ungern»: «Aber ich habe das Gefühl, dass da eine grössere Geschichte, möglicherweise von deutschen Diensten gegen mich im Gange ist, im Zusammenhang mit meiner Tätigkeit für den Schweizer Nachrichtendienst. Ich fühle mich alleine und mit dem Rücken zur Wand.»

Burgdorf, Regionalgefängnis

In einsamen Nächten im Regionalgefängnis Burgdorf zermartert sich M. den Kopf, weshalb er dort gelandet ist. Er ärgert sich über seine Naivität, Dummheit und Gier. Wieso gab es die ganze Aktion? Ist er in einen üblen Konter jener reingelaufen, denen er beim Ausforschen der Steuerfahnder empfindlich auf die Füsse gestanden ist?

Die Nächte sind lang, die Tage auch. Abwechslung bringen die Befragungen, in denen er seine Theorie präsentieren und auch untermauern kann: dass es kein Zufall war, dass Werner Mauss alle Unterlagen der UBS übergab, ausgerechnet der UBS, wo er zehn Jahre gearbeitet hatte. Es sei nur darum gegangen, ihn auf dem Finanzplatz Zürich kaputtzumachen. Nun sei er geschäftlich tot.

M. beteuert: «Ich bin definitiv kein Doppelagent. Die schweizerischen Interessen liegen mir sehr am Herzen.» Der Bundeskriminalpolizist fragt darauf: «Haben Sie mit dem Nachrichtendienst über die Tätigkeit mit Dietl gesprochen?» - «Nein. Das hätte ich natürlich besser tun sollen.»

Mauss und sein «geheimer Mitarbeiter» Dietl

Fünf Monate nach der Falle im Hotel Savoy kommt es zu einer Überraschung. Die Bundesanwaltschaft dehnt das Verfahren auf jene aus, die halfen, M. hinter Gitter zu bringen: auf Mauss und Dietl. Sie ermittelt jetzt auch gegen die beiden Ex-BND-Männer, mit denen sie und die UBS die Falle gestellt hatte. Der Verdacht auch hier: wirtschaftlicher Nachrichtendienst.

Ein Dreivierteljahr nach der Aktion am Zürcher Paradeplatz werden erstmals die Männer befragt, auf deren Anstoss die ganze Operation Eiswürfel beruht: Mauss und sein - so nennt er ihn in der Akten - «geheimer Mitarbeiter» Dietl. Die deutschen Ex-Agenten bekommen freies Geleit für die Reise in die Schweiz. So müssen sie auch keine Verhaftung befürchten. In Bern bestreiten sie ebenfalls jeglichen Spionagevorwurf. Mauss und Dietl beteuern, es sei ihnen einzig und allein darum gegangen, kriminelle Machenschaften aufzudecken, nämlich den illegalen Handel mit Bankdaten.

Kurz nach ihren Einvernahmen kommt es zu einem folgenschweren Schritt. Die Bundesanwaltschaft verrät indirekt schweizerische Spionageoperationen. Sie schickt allen Verteidigern einen verschlüsselten USB-Stick mit den gesamten Verfahrensakten. Es sind mehrere Gigabyte. Das Passwort kommt per Fax.

Damit hat nicht nur Daniel M. Einblick in die Protokolle, in denen er Details über seine Arbeit für den Schweizer Nachrichtendienst preisgegeben hat. Sondern auch seine Mitbeschuldigten. Dazu zählen neben Mauss und Dietl auch Tal H. Die Staatsschutzabteilung der Bundesanwaltschaft scheint kein Problem darin zu sehen, dass zwei der schillerndsten deutschen Ex-Agenten von Schweizer Geheimoperationen erfahren. Und auch H., der Reserveoffizier einer israelischen Spezialeinheit.

Werner Mauss hat für den Stick gute Verwendung. In Bochum droht ihm eine Anklage wegen Steuerhinterziehung. Ausgerechnet bei der UBS (und anderen Banken) hatte die Agentenlegende ein Millionendepot unter falschem Namen angelegt. Der 77-Jährige verteidigt sich mit dem Argument, er verwalte das Geld treuhänderisch für Geheimdienste und habe es für Operationen eingesetzt.

Er hat aber ein Problem: Die Staatsanwaltschaft glaubt ihm kein Wort.

Schweizer Stick in deutschem Strafverfahren

Mauss will ein aktuelles Beispiel geben. Deshalb reicht er schon bald die Informationen vom Schweizer USB-Stick in seinem deutschen Strafverfahren ein. Sie sollen beweisen, dass er die Millionen nicht unter Decknamen für sich selber gehortet hat. Sondern dass er - im Sinne seiner geheimen, aber staatlichen Auftraggeber - selbstständig grosse Summen für Aufträge einsetzen konnte.

Die Bochumer Ermittler staunen nicht schlecht, als sie die Aussagen von Daniel M. lesen. Eine gross angelegte Spionageaktion der Schweizer in Deutschland, die Sudoku-Liste, ein Maulwurf in der Steuerfahndung von Nordrhein-Westfalen, fünf Namen von NDB-Mitarbeitern, eine Operation gegen die Kollegen von der Steuerfahndung, alles auf dem Silbertablett serviert.

Die Akte geht an den Generalbundesanwalt in Karlsruhe, der für Nachrichtendienst zuständig ist. Dort geschieht etwas, was zuvor auch in Bern passiert ist. Man vertraut auf die Angaben, die ein schillernder Agent gemacht hat. Die schweizerischen Strafverfolger haben lange Mauss vertraut, die deutschen nehmen das für bare Münze, was Daniel M. im Berner Einvernahmezentrum preisgegeben hat.

Die deutschen Ermittler schreiben einen Haftbefehl gegen den gebürtigen Solothurner. Darin übernehmen sie fast wortwörtlich dessen Aussagen über die angebliche Maulwurf-Aktion.

Frankfurt, Hotel Roomers

Am Freitag der vorletzten Woche schnappt auch diese Falle zu. Daniel M. ist wieder einmal dorthin unterwegs, wo das Unheil seinen Anfang nahm, nach Frankfurt. Dort, im Hotel Roomers, wird er verhaftet.

Nun gibt es bei der Operation Eiswürfel nur noch Verlierer. Gegen Daniel M., Tal H., Wilhelm Dietl und Werner Mauss ermittelt in Bern nach wie vor die Bundesanwaltschaft. Doch die Staatsschutzabteilung hat derzeit andere Probleme, Rechtfertigungsprobleme, weil sie das Auffliegen der Schweizer Geheimdienstoperation ermöglicht hat. Damit hat sie nicht nur Daniel M. ans Messer geliefert; auch eine Reihe von NDB-Mitarbeitern ist unbekannten Risiken ausgesetzt.

Der Schweizer Staatsschutz steht mit abgesägten Hosen da. Für den Bundesrat, der die damalige Geheimmission gestützt hat, ist die ganze Sache peinlich.

Der grösste Verlierer aus der Operation Eiswürfel ist aber Daniel M. Er sitzt zum zweiten Mal in Untersuchungshaft. Die Bedingungen in Mannheim sind harscher als in Burgdorf. Dort wird er erneut viel über Werner Mauss nachdenken, den er noch nie getroffen hat.

Mauss selber hat es bislang wenig genützt, dass er die Informationen aus dem Stick aus Bern den deutschen Strafverfolgern weiterreichte. Er steht in Bochum wegen Verdachts auf Steuerhinterziehung vor Gericht. Ihm droht eine Gefängnisstrafe, Daniel M. ebenso.

Die Chancen, dass sich die unbekannten Feinde doch noch begegnen, sind intakt. Möglicherweise werden die beiden in Deutschland aufeinandertreffen. Hinter Gittern.

 

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