Unsere Gesellschaft hat zunehmend Probleme mit ihren Rändern

16. Februar 2013

Matthias Zehnder, bz basel

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Noch schärfere - und umstrittene - Gesetze sollen Hooligans von Sportveranstaltungen fern halten

Der Ruf nach Law und Order findet viel Sukkurs. Doch statt mit Gummiknüppeln auf unsere Ränder der Gesellschaft einzuschlagen sollte man sie besser einbinden.

Letzte Woche habe ich an dieser Stelle geschrieben, dass zu Basel auch die Autonomen gehören. Das hat mir einige heftige Zuschriften eingetragen. Zuschriften in Fäkalsprache, die Recht und Ordnung in einer Heftigkeit anmahnten, welche schon nicht mehr recht und ordentlich war. Hauptargument der Zuschriften: Die Regeln einer Gesellschaft gälten für alle. Es könne doch nicht sein, dass der ehrliche Bürger brav Strom und Steuern zahle, während die Autonomen den Staat verlachten und die Bürgerpflichten mit Füssen träten. Wenn das alle machten, dann Gutnacht.

Diese Woche hat der Basler SP-Grossrat Tobit Schäfer beim Bundesgericht Beschwerde gegen das Hooligan-Konkordat eingelegt. Auch in anderen Kantonen kämpfen Politiker und Fanarbeiter gegen das Konkordat. Ihre Argumente: Das Konkordat ist bürokratisch, irreführend und bevormundend. Der Berner SP-Nationalrat Matthias Aebischer zum Beispiel will sich nicht vorschreiben lassen, wie und wann er mit seinen Töchtern an einen YB-Match reist.

Den Konkordatskritikern weht eine steife Brise entgegen. «Schluss mit Samthandschuhen und Streichelpolitik gegen Randalierer», lautet das Hauptargument. Die Fans seien selber schuld, es sei Zeit, dass der Staat durchgreife und mit harter Hand für Ordnung sorge. Kurz: Die Argumente klingen ganz ähnlich wie die Argumente gegen Autonome. Das macht stutzig.

Damit wir uns recht verstehen: Ich habe weder Sympathie noch Verständnis für Menschen, die sich mit der Polizei prügeln, Schaufenster einwerfen oder Häuser besetzen. Aber darum geht es nicht. Ich habe den Eindruck, dass unsere Gesellschaft zunehmend Probleme mit ihren Rändern hat. Seien das nun Autonome, Hooligans, Bettler, Fahrende, Ausländer, Sozialfälle, psychisch Kranke, Alkoholiker, Fixer, Obdachlose oder - Abzocker. Ich glaube nicht, dass es heute mehr Randständige gibt. Lesen Sie mal Gotthelf. Bleibt die Frage, warum die Gesellschaft so heftig auf ihre Ränder reagiert. Warum sie die Ränder auf Kurs bringen will, warum der Ruf nach Law und Order so viel Sukkurs findet. Ist es die Angst vor dem Auseinanderfallen der Gesellschaft? Fühlen sich die Menschen in der Mitte der Gesellschaft von den Menschen am Rand bedroht? Eine These könnte sein: In einer laizistischen Gesellschaft, die kaum mehr inhaltliche Gemeinsamkeiten hat, sich kaum mehr auf gemeinsame Ziele einigen kann, wird die Ordnung selbst zum Wert, zu dem, was die Gesellschaft zusammenhält.

Das wahre Gesicht einer Gesellschaft zeigt sich darin, wie sie mit ihren Rändern umgeht. Eine technische Formulierung für einen sehr christlichen Gedanken übrigens. Die Gesellschaft wird die Ränder nicht los, indem sie Recht und Ordnung durchsetzt. Sie muss ihre Ränder einbinden. Ohne Gummiknüppel.

 

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