Nachrichtendienstgesetz kollidiert unweigerlich mit den Grundrechten

27. Juni 2016

Viktor Györffy, Rechtsanwalt, Präsident grundrechte.ch

Das NDG hat zwei Grundprobleme: Der Nachrichtendienst operiert auf Basis blosser Vermutungen, und die Kompetenzen, die er mit dem NDG erhalten soll, gehen extrem weit. Das Nachrichtendienstgesetz kollidiert deshalb unweigerlich mit den Grundrechten. Das Gesetz erlaubt dem Nachrichtendienst einen Lauschangriff, der nicht wirksam zu kontrollieren wäre. Es wären zwangsläufig auch viele unbescholtene Personen davon betroffen. Wenn die Faktenlage einigermassen klar ist, dann kann oft gleich ein Strafverfahren eröffnet werden.

Recht auf Achtung des Intim-, Privat- und Familienlebens, auf Schutz der Privatsphäre, einschliesslich Achtung des Brief-, Post- und Fernmeldeverkehrs, auf Schutz vor Missbrauch der persönlichen Daten, der Anspruch auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 13 BV, Art. 8 EMRK, Art. 17 UNO-Pakt II, Übereinkommen zum Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten [Konvention Nr. 108 des Europarates, SR 0.235.1]), die Freiheit der Meinungsäusserung, die Meinungs- und Informations- sowie die Medienfreiheit, einschliesslich Quellenschutz (Art. 16 BV, Art. 27 BV, Art. 10 EMRK), die Versammlungsfreiheit (Art. 22 BV, Art. 11 EMRK), die persönliche Freiheit und die Bewegungsfreiheit (Art. 10 Abs. 2 BV, Art. 8 EMRK), die Unschuldsvermutung (Art. 6 EMRK, Art. 32 BV) und die Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 BV).

Es wäre eine Illusion zu meinen, eine richterliche oder parlamentarische Kontrolle vermöchte die Geheimdiensttätigkeit wirksam zu begrenzen. Der Nachrichtendienst kann gegenüber dem Richter jeden mit entsprechenden Vermutungen zum mutmasslichen Terroristen emporstilisieren. Da der Richter nicht wissen kann, ob die Vermutungen zutreffen oder nicht, wird er sich dem Ansinnen des Geheimdienstes nicht verschliessen. Die betroffene Person wird bei der Anordnung nicht gefragt. Sie geniesst keinen effektiven Rechtsschutz und hat kein funktionierendes Einsichtsrecht in ihre Daten. Dies ist nicht mit der Praxis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Strassburg vereinbar.

Es ist nicht zu verantworten, dem NDG das ganze Arsenal zur Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs zur Verfügung zu stellen, einschliesslich der Vorratsdaten. Dies muss, wenn schon, dem Strafprozess vorbehalten bleiben, wo es einen konkreten Tatverdacht braucht und wo klare prozessuale Garantien bestehen. Ganz abzulehnen ist der Staatstrojaner. Ein beträchtlicher Teil unseres Lebens und unserer Kommunikation spielt sich in der digitalen Welt ab oder findet dort sein Abbild. Darin soll der Geheimdienst nicht herumschnüffeln dürfen. Es ist zudem technisch nicht möglich, den Einsatz eines Trojaners wirksam zu begrenzen und rechtsstaatlich sauber zu dokumentieren, da der Trojaner sich im Verlauf des Einsatzes verändern und seine Spuren verwischen kann.

Mit der sog. Funk- und Kabelaufklärung, die in der Praxis zwangsläufig auch Inländer betreffen würde, müsste jede Person damit rechnen, dass ihr gesamter Internetverkehr mitgeschnitten wird. Es ist klar grundrechtswidrig, die Kommunikation zahlreicher Personen zu überwachen, ohne dass diese irgend einen konkreten Anlass dazu gegeben haben. Der EuGH hat u.a. genau deshalb die Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie der EU aufgehoben.

Die heimliche Überwachungstätigkeit des Geheimdiensts würde zu einem «chilling effect» führen, d.h. zur Tendenz, aus Angst vor der Überwachung Informations- und Kommunikationskanäle im Internet nicht mehr oder nur eingeschränkt zu nutzen. Auch darin liegt ein Verletzung der Grundrechte aller. In diesem Aspekt wirkt sich das NDG auch auf die Wirtschaftsfreiheit aus. Anstatt möglichst viele Daten anzuzapfen, sollte der Staat die Datensicherheit gewährleisten, was auch für die hiesige IT-Industrie von eminenter Bedeutung ist.

 

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