Arealverbot ohne Rechtsgrundlage

27. Juni 2013

An einem Samstagabend suchen einige Jugendliche den Turn- und Spielplatz des Schulhauses Oberdorf in Oensingen auf. Das Areal ist mit einem drei Meter hohen Zaun umschlossen, das Tor ist geschlossen. Die Benützung des Areals ist nur bis 18 Uhr gestattet. Für die Jugendlichen ist dies kein Hindernis. Sie steigen über den drei Meter hohen Zaun und spielen Fussball - zum wiederholten Mal. Auch früher schon wurden sie weggewiesen.

In der Nähe wohnt der Gemeindepräsident Markus Flury und beobachtet das Spiel. «Ich habe die Jugendlichen auf das Verbot aufmerksam gemacht, sie rannten dann zwar weg, blieben aber auf dem Areal», sagt Flury.

Er benachrichtige zuerst den Schulhauswart und schliesslich die Polizei. «Von einer Anzeige sahen wir ab. Wir entschieden uns einerseits, den Jugendlichen ein Arealverbot zu geben. Anderseits lud ich deren Väter samt Söhnen zu einem Gespräch ein.» Zwei Väter hätten das Angebot angenommen. Sie fänden es richtig, dass die Jungen spüren müssen, dass sie ein Verbot übertreten haben.

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Ein Vater aber stellte den Brief auf Facebook und wetterte: «Der erstunterzeichnende Gemeindepräsident ist der einzige Anwohner, der sich an den spielenden 12 bis 13-Jährigen gestört hat.»

Die Story schaffte es auf viele on-line Seiten von schweizerischen Medien. Der Gemeinderat von Oensingen liess per Medienmitteilung verlauten, dass er sich an der nächsten Sitzung des Problems annehmen wolle.

https://grundrechte.ch/2013/Verbot_Oeningen.JPG

Das ist auch dringen nötig. Erstens besagt das richterliche Verbot, dass Zuwiderhandlungen mit Busse bis 100 Franken, im Wiederholungsfall bis 500 Franken geahndet werden. Für eine allfällige Bestrafung ist selbstverständlich die Staatsanwaltschaft resp. die Jugendstaatsanwaltschaft und nicht der Gemeinderat zuständig. Zudem ist ein Arealverbot als Strafe unzulässig, dazu bedürfte es einer gesetzlichen Grundlage, und es müsste als beschwerdefähige Verfügung erlassen werden. Zweitens entfaltet das richterliche Verbot gemäss Rechtsprechung des Bundesgerichts keine Wirkung. Einschränkung der Nutzung einer öffentliche Sache im Gemeingebrauch haben auf verwaltungs- und nicht zivilrechtlicher Basis zu erfolgen (BGE 6B_116/2011). Ein richterliches Verbot hat auf einem Schulareal nichts verloren. Der Gemeinderat von Oensingen hat also einiges zu tun.

Am 29. Juni 2013 hat dann der Gemeinderat von Oensingen anlässlich einer ausserordentlichen Sitzung die Arealverbote zurückgenommen. Der Medienmitteilung ist zu entnehmen, dass «das Richterliche Verbot vom 30. Januar 2006 für GB Oensingen Nr. 558 umgehend aufzuheben» sei. Ein paar Nachhilfestunden in Staatskunde würden dem Gemeinderat von Oensingen wohl kaum schaden.

 

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