Schülerin darf Kopftuch tragen

26. November 2012

Das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau beurteilt das Kopftuchverbot einer Schule als «unverhältnismässig». Jetzt will diese, dass das Bundesgericht einen Grundsatzentscheid fällt.

Lukas Häuptli. NZZ am Sonntag

Eine gewöhnliche Schule ist die Schule von Bürglen nicht. Im Gegenteil: Sie hat schon vor Jahren die Leistungsstufen für die 12- bis 15-Jährigen abgeschafft und statt einer getrennten Real- und Sekundarschule gemischte Einheitsklassen eingeführt. Mit dieser und mit mehreren anderen Integrationsmassnahmen steht Bürglen im Thurgau ziemlich allein da. Aber Schulpräsident Rolf Gmünder schwärmt: «Früher gab es zwischen mehrheitlich ausländischen Realschülern und mehrheitlich Schweizer Sekundarschülern regelmässig Schlägereien. Heute dagegen haben wir eine sehr geringe Gewaltbereitschaft unter den Schülern.»

Ausschluss angedroht

Allerdings beisst sich Bürglen zurzeit an einem anderen Fall die Zähne aus: dem Fall von zwei 14-jährigen muslimischen Schülerinnen. Die beiden albanischen Mädchen kamen vor anderthalb Jahren erstmals mit einem Kopftuch zur Schule. Was folgte, waren erfolglose Gespräche zwischen Lehrern, Schülerinnen und Eltern. Schriftliche Verweise wegen des an der Schule geltenden Kopftuchverbots. Androhungen, die Mädchen vom Unterricht auszuschliessen. Und ein Rechtsstreit, der im Frühling 2011 begann und der noch einige Zeit schwelen wird.

Das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau hat das Kopftuchverbot der Schule Bürglen nämlich kürzlich aufgehoben. «Für ein allgemeines Kopftuchtragverbot» mangle es an einer «genügenden gesetzlichen Grundlage», heisst es im Entscheid, der nicht veröffentlicht worden ist. Und: «Dem Eingriff mangelt es auch an der Verhältnismässigkeit.» Das Urteil ist allerdings nicht rechtskräftig: Die Schule Bürglen zieht es ans Bundesgericht weiter. «Damit erhoffen wir uns eine endgültige Klärung der Frage», sagt Präsident Rolf Gmünder.

Die Frage, die das oberste Gericht der Schweiz zu klären hat: Welches ist das höhere Gut? Die Glaubensfreiheit, in diesem Fall «das Recht, die eigene Religion frei zu wählen und zu bekennen», wie es in der Verfassung heisst? Oder aber das Bestreben einer Schule, mit Kleidervorschriften für ein «gutes Zusammenleben» zu sorgen und gegen «Ausgrenzungen» zu kämpfen, wie der Bürgler Schulpräsident sagt? Aus diesem Grund seien die Kleidervorschriften und mit ihnen das Kopftuchverbot nämlich schon vor fünfzehn Jahren erlassen worden.

Dazu muss man wissen: An die Schule Bürglen gehen rund 220 Schüler und 200 Schülerinnen. Ein beträchtlicher Teil von ihnen stammt aus dem Ausland; ein Viertel der Schülerinnen beispielsweise sind Musliminnen. Die 3300-Einwohner-Gemeinde im Mittelthurgau ihrerseits hat einen Ausländeranteil von knapp 25 Prozent. Bei den letzten Wahlen ins Kantonsparlament erreichte die SVP hier einen Stimmenanteil von gut 30 Prozent.

Kanton schützte Verbot

Zur SVP gehört auch Monika Knill. Sie ist Thurgauer Regierungsrätin und Vorsteherin des kantonalen Departements für Erziehung und Kultur (DEK). Das DEK war es, das im Herbst 2011 als erste Rekursinstanz das Kopftuchverbot von Bürglen schützte. Die Art der Bekleidung sei geeignet, Unruhe in einer Gruppe zu verursachen; dies gelte auch für Kleider mit religiösem Symbolwert, heisst es im damaligen Entscheid. Der kam deshalb überraschend, weil Knills Departement zwei Jahre zuvor in einer allgemeinen Empfehlung an die Schulen im Kanton noch geschrieben hatte: «Ein von einer Schülerin getragenes Kopftuch stört den Unterricht nicht. Es gibt deshalb keinen Grund, dieses zu verbieten.»

Knill will sich wegen des laufenden Verfahrens nicht zum Fall äussern. Dafür sagt sie: «Im Volksschulgesetz gibt es einen Passus, gemäss dem Lehrpersonen ‹verbotene, gefährliche oder den Unterricht störende Gegenstände› einziehen können. Unter Gegenstände, die den Unterricht stören, kann auch ein Kopftuch fallen.»

Bleibt die Frage, wie sehr die Mädchen mit ihren Kopftüchern den Schulbetrieb tatsächlich gestört haben. «Es führte zumindest eine Zeitlang zu einer spürbaren Unruhe unter den übrigen Schülerinnen und Schülern», sagt der Schulpräsident. Dem hält Daniel Vischer, der Anwalt der Schülerinnen und ihrer Eltern sowie Nationalrat der Grünen, entgegen: «Die beiden Mädchen haben den Unterricht in keiner Weise gestört. Im Gegenteil: Sie waren gut integriert. Ihre Mitschülerinnen und Mitschüler haben im Anschluss an das Kopftuchverbot sogar eine Solidaritätsbekundung für sie gemacht.»

Die zwei albanischen Mädchen gehen übrigens noch immer in Bürglen zur Schule - noch immer mit einem Kopftuch. Das Verwaltungsgericht hat im Februar nämlich verfügt, dass das erlaubt sei, solange kein rechtskräftiges Urteil vorliege.

 

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