Grenzüberschreitende Spitzel

18. Januar 2011

Undercover agent - Agent provocateur

Nach der Enttarnung eines britischen Polizisten in Grossbritannien ist auch in Heidelberg ein Spitzel aufgeflogen. Zudem enthüllt die Dokumentation eines Gerichtsverfahrens gegen Tierrechtler in Österreich, wie eine «Führungsperson» mit ins Ausland nach Luzern fährt und per Mobiltelefon Treffen mithört.

UMTS-Stick und Fahrdienste

Im Oktober 2010 war in Grossbritannien ein Spitzel mit weitreichenden internationalen Kontakten aufgeflogen. Der britische Polizist Mark Kennedy hatte vor 10 Jahren begonnen, linke Zusammenhänge auszuforschen. Kennedy wurde nur durch Zufall enttarnt, als sein echter Pass bei ihm gefunden wurde. Als «Mark Stone» war Kennedy immer wieder bei Aktionen, Demonstrationen und Camps in EU-Staaten unterwegs und unternahm Fahrdienste oder verlieh grosszügig seinen UMTS-Stick für mobiles Internet.

In Island hatte Stone Workshops zu «Direkter Aktion» gegen die Aluminiumverhüttung und Verschmutzung ganzer Landstriche organisiert. Der Spitzel war auch bei Gipfelprotesten zugegen und tauchte unter anderem beim G8-Gipfel in Heiligendamm auf. Kurz vor seiner Enttarnung erkundigte er sich bei französischen Aktivisten nach dem Stand der Mobilisierung zum nächsten G8-Gipfel in Frankreich.

Kennedy inszenierte mehrere sexuelle Affären und war regelmässig in Berlin zu Besuch. In der Antwort auf eine Kleine Anfrage des Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko mochte die deutsche Regierung hierzu allerdings keine Stellungnahme abgeben und erklärte auf Nachfrage lediglich, es lägen «keine Anhaltspunkte für Verstösse gegen internationale Vereinbarungen vor». Wenn dem so ist, waren die deutschen Behörden mindestens informiert, wenn nicht sogar an den Ermittlungen beteiligt. Über das Ermittlungsziel kann höchstens spekuliert werden.

Durchaus möglich, dass die verdeckten Ermittlungen zusammen mit deutschen Bundes- oder Länderpolizeien in einer sogenannten «Gemeinsamen Ermittlungsgruppe» (GEG) durchgeführt wurden, wie sie seit Jahren unter EU-Mitgliedsstaaten immer üblicher werden.


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Mark Kennedy


Undercover agent made in Germany

«Halli Hallo allerseits, bin wieder aus Brüssel zurück und schau mir mit Schrecken die Bilder und Videos aus Stuttgart an. Geht's euch allen soweit gut?», schreibt «Simon Brenner» nach seiner Rückkehr vom Grenzcamp in Belgien Anfang Oktober 2010 besorgt. Das Mail bezieht sich auf den heftigen Wasserwerfer- und Prügeleinsatz anlässlich der Demonstrationen gegen das S21-Projekt. Zwei Monate später wurde der Aktivist als Spitzel enttarnt.

Während eines Camping-Urlaubs in Frankreich wurde «Brenner», dessen Vorname anscheinend nicht falsch ist, einer anderen Urlauberin als Polizist vorgestellt. Pech für den Undercover-Polizisten: Die Frau kommt aus Heidelberg und hatte ihn dort wiedererkannt und sofort geoutet. «Brenner» versuchte sie zuvor vergeblich von seiner Enttarnung abzubringen. Linken Netzaktivisten gelang es darüber hinaus, einen seiner Mailaccounts bei ymail.com zu übernehmen und Zugriff auf über 2.000 Mails zu erlangen, darunter solche mit Einzelverbindungsnachweisen seines Mobiltelefons.

In der darauf folgenden unfreiwilligen Konfrontation durch seine politischen Zusammenhänge offenbart «Brenner», im Bereich «Verdeckte Ermittlungen Staatsschutz» im Stuttgarter Landeskriminalamt «geführt» zu werden. Dorthin habe er etwa Informationen und «Personalakten» übermittelt. Des Weiteren telefonierte «Brenner» regelmässig mit zwei Polizisten des Heidelberger Staatsschutzes. Dem Einsatz ging eine Ausbildung für verdeckte Ermittlungen und eine Einführung in die polizeiliche Einschätzung der Heidelberger linken Szene voraus.

Auf dem Brüsseler Grenzcamp brachte sich «Brenner» in die Selbstorganisationsstrukturen ein und zeigte starkes Interesse an der Antirepressionsarbeit. Die war durchaus nötig, denn die belgische Polizei ging mit einer Härte gegen Demonstranten vor, die selbst Einheimische überraschte. Nach massiven Schlagstockeinsätzen, verbotenen Demonstrationen und «präventiver» Verhaftung Hunderter Demonstranten war es in Brüssel zu einem Angriff auf eine Polizeistation gekommen, bei der mehrere Fenster zu Bruch gingen.

Auch in der Schweiz

Aus der Sicht der Aktivisten aus dem östlichen Nachbarland war die Schweizer Tierrechtsbewegung ein Problemfall: zu wenige Aktivisten und Kampagnen, keine «einheitliche Bewegung». Also beschlossen die Österreicher, Entwicklungshilfe zu leisten und luden im Sommer 2007 zu einem zweitägigen «Animal Liberation Workshop» im Café Parterre in Luzern.

Etwa 80 Teilnehmer, auch aus dem Tessin und Genf, bekamen Kampagnenstrategie, Methoden zur Tierbefreiung und Rechtslage erklärt. Unter den Österreichern waren der führende Aktivist Martin Balluch und eine junge Frau namens Danielle Durand, die sich erst kurz zuvor den Tierschützern angeschlossen hatte.

Was damals niemand im Luzerner Workshop wusste: Durand war eine verdeckte Ermittlerin der österreichischen Polizei, die herausfinden sollte, welche Tierschützer wo und wann gewalttätige Aktionen planten. Die Frau war in Luzern überraschend aufgetaucht. «Sie sagte, dass sie hier gerade Ferien mache», erinnert sich Balluch. Der Einsatz der österreichischen Polizistin war mit der Luzerner Polizei abgesprochen.

Die Luzerner hatten mit der Auflage eingewilligt, dass die Ermittlerin keine Waffe tragen und sich nicht an strafbaren Handlungen beteiligen dürfe. Die Österreicher garantierten, dass Durands Erkenntnisse aus Luzern niemals in einem «strafprozessualen Verfahren verwendet werden». Doch genau das ist jetzt der Fall.

In Wiener Neustadt, 50 Kilometer südlich von Wien, wird seit einem halben Jahr gegen 13 österreichische Tierschützer verhandelt. Sie sollen unter anderem einen Brandanschlag verübt und Pelzbekleidung zerstört haben. Der Sachschaden beträgt eine halbe Million Euro.

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